Ulrike Klaß hilft ihrem an Aphasie erkrankten Vater
Immer wieder schlägt sich Franz-Josef Kirsch gegen den Kopf. Als wolle
er damit die Worte aus sich herausschlagen. Sie sind doch da. Zumindest
die Gedanken. Aber wo sind die Worte hin? "Sie haben uns immer wieder
erklärt, dass er klar denken kann. Er kann es nur nicht mehr mitteilen."
Ulrike Klaß hat gelernt, mit der Aphasie ihres Vaters zu leben und
diese Krankheit zu verstehen. Ausgelöst durch einen Schlaganfall hat
Franz-Josef Kirsch eine starke Kommunikationsstörung. In der
Selbsthilfegruppe an der Logopädieschule des Katholischen Klinikums
Koblenz · Montabaur finden er und seine Familie Zeit und Raum, über die
Krankheit zu sprechen.
In kleiner Runde gibt es an diesem Tag etwas zu feiern. Zehn Jahre
Selbsthilfegruppe Aphasie am Katholischen Klinikum Koblenz · Montabaur.
In der Logopädieschule am Marienhof Koblenz treffen sie sich einmal im
Monat zum Gedankenaustausch. An diesem Nachmittag gibt es Kaffee, Kuchen
und ein kleines Programm. Schulleiterin Birgit Schneider erinnert sich
an die Anfänge der Selbsthilfegruppe. Betroffene erzählen ihre
Geschichte oder lesen aus einem Buch vor. Bewegend und faszinierend
zugleich, wie sie es geschafft haben, in die Welt der Worte
zurückzukehren. Der letzte Programmpunkt der Feier: Ulrike Klaß
berichtet aus der Sicht einer Angehörigen. "Ich tue mich schwer, die
Geschichte in Worte zu fassen, bin emotional zu sehr befangen", sagt
sie. Und zitiert ein Kapitel aus dem Buch "Aphasie - Wege aus dem
Sprachendschungel". Es ist, wie bei der Koblenzerin, die Geschichte
einer Frau, deren Vater nach einem Schlaganfall an Aphasie leidet.
"Meinen Vater derart eingeschlossen in seiner Sprachlosigkeit zu erleben
kostet sehr viel Kraft. (…) Ich bin dankbar, meinen Vater noch zu
haben, zwar nicht mehr so wie früher, aber nicht weniger liebenswert."
"Ich habe gleich gemerkt, dass meinem Vater die Tränen kamen", sagt
Ulrike Klaß ergriffen. "Ich habe dann in die Runde geschaut und viele
gesehen, die geweint haben." Sie alle hier sind ergriffen. Erkennen sich
wieder in der Geschichte einer fremden Frau. Sie alle haben nie
aufgegeben, auch wenn es schwer gefallen ist. "Dieser Austausch ist für
uns unheimlich wichtig", sagt sie. "Mein Vater und auch meine Familie
und ich kommen immer wieder gerne hier hin. Sprechen mit den anderen
Betroffenen über deren Ängste und Nöte."
"Die wenigsten Menschen denken in der Anfangsphase der Aphasie gleich an
Selbsthilfe", sagt Schulleiterin Birgit Schneider. "Wenn eine Aphasie
aber nicht zu 100 Prozent wieder weggeht, wenn sie chronisch und damit
nicht mehr komplett heilbar wird, dann hilft die Gruppe, mit dieser
Krankheit besser umgehen zu können. Der Erfolg einer Sprachtherapie
hängt auch von der Mithilfe der Angehörigen ab. Wenn die Diagnose
Aphasie gestellt ist, dann gibt es noch alle Möglichkeiten, dass sich
die Sprache ganz oder teilweise, im ungünstigsten Fall wenig
zurückbildet."
Am Neujahrstag 2009 hatte Franz-Josef Kirsch einen schweren
Schlaganfall. "Er wurde wach und war nicht so ganz bei sich", erinnert
sich seine Tochter. "An dem Tag konnte er noch ein bisschen sprechen. Am
nächsten Tag dann war die Sprache ganz weg. Diesen Moment kann man
nicht in Worte fassen. Mein Vater, mit seinem Koblenzer Platt, kann
plötzlich nicht mehr sprechen." Dem Schock folgt schnell der gemeinsame
Kampf gegen die Krankheit. "Wir haben vieles versucht. Zum Beispiel
haben wir ihm ein großes Schild gemacht mit dem ABC. Er hat dann auf die
Buchstaben getippt und wir versuchten so zu verstehen, was er möchte."
Trotzdem passiert es auch heute noch oft, vier Jahre nach dem
Schlaganfall, dass Ulrike Klaß nicht weiß, was ihr Vater sagen möchte.
"Natürlich macht man sich immer Sorgen, ob alles gut geht. Zum Beispiel,
wenn er alleine unterwegs ist", sagt sie. "Ich sehe ja auch die
befremdlichen Reaktionen der Menschen. Etwa im Supermarkt, wenn mein
Vater auf etwas zeigt und Laute von sich gibt. Im ersten Moment könnte
man denken, er sei betrunken. Er kann sich ja nicht erklären." Umso
wertvoller sind die Treffen in der Selbsthilfegruppe. Hier muss sich
niemand erklären, reichen oftmals Laute aus, um seinen Gegenüber zu
verstehen. "Hier werden wir verstanden", sagt Ulrike Klass zweideutig.
"Was die anderen draußen denken, ist mir egal."
Die Selbsthilfegruppe Aphasie ist offen für Gäste und neue
Mitglieder. Interessenten melden sich bitte im Sekretariat der
Logopädieschule an.